Heimkehr - Eine Kurzgeschichte über das Cavadee auf Mauritius
Die folgende Geschichte gibt einen kleinen Einblick in das Thaipoosam Cavadee auf Mauritius, einem Fest der Tamilen.

Die Januarsonne brennt heiß auf meinem Gesicht, während ich mich inmitten der Schar von Gläubigen wiederfinde. Heute ist der letzte Tag des Cavadees, einem bedeutenden Fest der Tamilen, das zu Ehren des Gottes Muruga gefeiert wird. Es ist nicht das erste Mal, dass ich auf Mauritius bin oder das Cavadee miterlebe. Doch dieses Mal ist anders – dieses Mal trage ich selbst ein Gestell auf meinen Schultern, das mein Mann und ich in den letzten zehn Tagen gemeinsam gebaut und mit bunten Blumen geschmückt haben. Die Nadel, die meine Zunge durchbohrt, verursacht keinen Schmerz, sondern erinnert mich daran, dass ich mich heute bewusst und vollständig auf diese spirituelle Reise eingelassen habe. Das Cavadee auf meinen Schultern ist schwer, doch es fühlt sich nicht belastend an. Es ist, als würde ich nicht nur ein hölzernes Gestell tragen, sondern auch die Geschichte und die Traditionen einer Kultur, die nun auch ein Teil meines Lebens geworden ist. Die Milch, die ich in kleinen Gefäßen am Cavadee trage, schwappt leicht bei jedem Schritt.
Trommeln und Gebetsgesänge hallen vertraut durch die Luft, doch heute erlebe ich sie intensiver, als ob sie direkt in mein Innerstes dringen. Die Straßen sind gesäumt von Menschen, die dem Fest beiwohnen, ihre Gesichter voller Respekt und Hingabe. Eine alte Frau am Straßenrand trifft meinen Blick. Sie gießt kaltes Wasser über meine nackten Füße und schützt sie so vor dem heißen Teer.
Als wir den Fuß der langen Treppe erreichen, die zum Tempel hinaufführt, spüre ich, wie jede Stufe mich nicht nur körperlich, sondern auch geistig näher an etwas Größeres heranführt. Mein Mann, der diesen Weg schon so oft gegangen ist, geht ruhig und sicher neben mir. Für ihn ist es eine vertraute Rückkehr zu seinen Wurzeln. Für mich ist es eine bewusste Annäherung an eine Kultur, die ich in all ihren Facetten ergründen möchte.
Oben angekommen, stelle ich das Cavadee vorsichtig ab. Der Duft der Milch, die nun als Segen verteilt wird, erfüllt die Luft, und ich spüre eine tiefe Ruhe und Erfüllung. Dieses Ritual war nicht nur eine körperliche Herausforderung, sondern auch eine Reise zu einer neuen Ebene der Verbundenheit – mit meinem Mann, mit dieser Insel, und mit mir selbst.
Mauritius war für mich einst der Ort, an dem mein Mann zu Hause war, ein exotisches Reiseziel. Doch heute, inmitten dieser Menschen und dieser Kultur, spüre ich, dass diese Insel auch meine Heimat geworden ist. Das Meer, die unterschiedlichen Kulturen, Affen, die frei durch die Bäume springen – all das ist nun auch ein Teil von mir. Und ich weiß, dass ich hier immer willkommen sein werde, genauso wie mein Mann.
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