Das blutrote Kleid

Eine Psychothriller Kurzgeschichte

Das blutrote Kleid ist eine Psychothriller Kurzgeschichte, die ich während des Lockdowns 2020 geschrieben habe. Sie war mein Beitrag zu Sebastian Fitzeks Projekt #wirschreibenzuhause 
Ich habe die Geschichte überarbeitet und neu hochgeladen.

Coverbild zur Psychothriller Kurzgeschichte

Das Café um Miriam summt vor Leben. Nur Mark fehlt. Mit jedem Schlag der Kirchturmuhr wachsen ihre Zweifel. Noch könnte sie die Chance nutzen, und gehen. Nervös dreht sie das Armband um ihr Handgelenk. Sie erinnert sich an den Tag, als er es ihr geschenkt hatte. Es war ein unverbindlicher Nachmittag, schön und leicht. Als hätte diese Begegnung einen Schalter in ihr umgelegt. Doch heute, jetzt wo es ernster wird, möchte sie nur noch wegrennen.

Ihre Gedanken kreisen so laut, dass sie das leise Klingeln nicht bemerkt. Erst die genervte Stimme einer Frau am Nachbartisch: „Wollen ‚Se vielleicht mal rangeh’n“ holt sie aus ihrer Trance. Ohne das Gemecker der Frau weiter zu beachten, zieht sie das fremde Smartphone zwischen den Eiskarten hervor. Der schrille Ton rührt von keinem Anruf. Es ist ein Alarm, der die Aufmerksamkeit der anderen Cafébesucher auf sich zieht. Schnell drückt Miriam eine Taste und lässt das Gerät so verstummen. Was sie zumindest von den wütenden Blicken befreit.
Doch ein Blick auf das nun erschienene Hintergrundbild lässt ihr Herz kräftig pochen. Ihr Atem geht schneller. Wie ist das möglich? Es sind ihre Augen, aus deren Blau jedoch jegliches Leben erloschen ist, in die sie da schaut. Panik steigt in ihr auf, nervös sieht sie sich um. Keiner der anderen Cafégäste schenkt ihr Beachtung. Sie kneift die Augen zusammen, es muss eine Einbildung sein. Doch das Bild bleibt gleich. Die Frau auf dem Foto trägt genau wie sie langes rotblondes gewelltes Haar, die Haut ist blass und die Augen sind weit aufgerissen. Die kleine Stupsnase ist leicht nach links geneigt, was sie schon seit ihrer Jugend als einen Makel in ihrem Gesicht ansieht. Auf ihrer rechten Schulter prangt das große Tattoo des indischen Gottes Ganesha. Sie hat es sich vor zwei Jahren hat stechen lassen, um immer wieder daran erinnert zu werden, dass sie sich nicht unterkriegen lässt.

In diesem Moment aber kann sie nicht ruhig bleiben. Die Übelkeit steigt in ihr auf. Das Smartphone liegt in ihren zitternden Händen. Ungläubig starrt sie weiter auf das Foto, als würde sich das Bild dadurch verändern. Das weiße gepunktete Sommerkleid, das sie auch in diesem Moment trägt, ist vom Blut rot gefärbt und die Pulsadern der Fotografierten sind sauber durchtrennt. Adrenalin schießt durch ihre eigenen Adern. Schweiß bildet sich auf ihrer Stirn. Doch all das ist nichts im Vergleich zu der eingehenden Nachricht, die ihr endgültig den Boden unter den Füßen wegreißt. Sofort ist ihr klar, es handelt sich nicht nur um einen makabren Scherz, sondern ihr schlimmster Albtraum hat sie eingeholt:

Ich habe dich gefunden!

Mit schweißnassen Händen greift sie in ihr Portemonnaie legt den ersten Schein, den sie findet, auf den Tisch vor sich und verlässt das Café eilig, ohne auf die verwirrten Blicke zu achten.

Blind geht sie den Weg nach Hause. Ihr eigenes Smartphone fest an ihr Ohr gedrückt. Tränen hinterlassen schwarze Schlieren auf ihrem Gesicht. Sie kann Mark nicht erreichen. Der Klang der monotonen Mailboxstimme ist ihr nicht neu, da er sein Handy prinzipiell auf lautlos gestellt hat. Doch jeder unbeantwortete Anruf verstärkt ihre Angst. Verzweifelt wählt sie die Nummer immer und immer wieder. Sie würde am liebsten durch das Smartphone steigen und ohne Umwege sicherstellen, dass es Mark gut geht. Kurzerhand wechselt sie ihre Richtung. Vielleicht kann sie ihren Freund auf seinen Weg ins Café abfangen.
Doch unmittelbar nachdem sie kehrt gemacht hat, ertönt ein lautes Klingeln aus ihrer Tasche. Ohne langsamer zu werden oder auf entgegenkommende Passanten zu achten, sucht sie nach dem fremden Telefon und öffnet das Chatfenster mit der letzten Nachricht. Abrupt bleibt sie stehen, ihr Herz rast.

Das würde ich sein lassen!

Die fünf kleinen Worte schreien ihr drohend entgegen. Das Foto darunter ist es aber, was sie noch mehr verstört: Mark! Aus der Ferne fotografiert, im Café sitzend. Miriam wird zunehmend bewusster, dass ihre Vergangenheit sie eingeholt hat. Nervös schaut sie sich um, wohl wissend nach wem sie Ausschau halten muss. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass Leander sie hier finden würde. Auf der Straße um sie herum sind Familien, Rentner, Businessfrauen und -männer unterwegs, doch niemand scheint sie zu beobachten. Aufmerksam scannt sie ihre Umgebung. Lässt ihre Augen über die Gesichter der Fremden wandern, doch in keinem erkennt sie Leander. Er wird sie immer aufspüren können. Auch, wenn er nicht zu sehen ist. Noch nicht.
Sie hätte sich nicht auf Mark einlassen sollen. Durch ihren Leichtsinn hat sie nicht nur sich, sondern auch ihn in große Gefahr gebracht. Miriam weiß, mit wem sie es zu tun hat, aber Mark? Sie muss ihn erreichen. Langsam wird ihr bewusst, wie wichtig ihr dieser Mann geworden ist. Nur einmal hatte sie bisher eine solche Zuneigung verspürt. Vor langer Zeit. In einem anderen Leben. Sie zwingt sich die schmerzlichen Erinnerungen wegzuschieben.
Wie gelähmt steht sie auf der Brücke, die den kleinen Park der Stadt mit dem wilden Treiben der Einkaufspassage verbindet und weiß nicht, wie sie weiter vorgehen soll. Leander hat es schon wieder geschafft. Sie in die Ecke getrieben. Obwohl sie ihn nicht sehen kann, sind ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. Nie wieder möchte sie diesem Monster in die kalten grünen Augen sehen. Sie weiß, es gibt nur einen Ausweg für ihre und Marks Sicherheit: Sie muss sich von ihm fernhalten.

Zügig setzt sie ihren Heimweg fort und blickt dabei immer wieder über ihre Schulter. Sie kann niemanden sehen. Das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, bleibt aber. Sobald sie ihre Wohnung betritt, lässt sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen und rennt in ihr Schlafzimmer. Mit einem Ruck zieht sie den Koffer unter ihrem Bett hervor. Das Gepäckstück ist bereits mit wichtigen Dokumenten und Kleidung gepackt. Wehmütig schaut sie sich das Foto auf dem Ausweis an. Nur für den Notfall hatte sie ihn in ihrer Wohnung versteckt. Die Tränen laufen ihr heiß über die Wange. Miriam kennt die Gefahr, die Leanders Auftauchen mit sich bringt. Entschlossen legt sie den Ausweis beiseite und wischt die Wangen trocken.
Als das fremde Smartphone vibriert, wappnet Miriam sich für einen erneuten Schlag. Doch das Foto ist schlimmer als alles, was sie erwartet hatte. Ihr Herz krampft schmerzhaft. Sie muss den Blick von den beiden lächelnden Frauen abwenden. Die Tränen, die ihr jetzt in die Augen steigen, rühren nicht von der Angst. Es ist dieser alte, stille Schmerz, der sie innerlich zerfrisst. Das Bild reißt die alte Wunde brutal wieder auf und Miriam wird klar, dass selbst Mark ihr niemals dieses Gefühl geben kann, das Jennifer ihr gab. Sie fühlt sich um Jahre zurückversetzt. Zurück in eine bessere Zeit. Es ist, als könnte sie Jennifers Haar riechen und die zarte Haut unter ihren Fingern spüren.

Sie hatte gerade den Absprung aus der toxischen Beziehung mit Leander geschafft, als sie Jennifer kennenlernte. Diese junge lebensfrohe Zeit war in der schwierigsten Zeit ihres Lebens für sie da. Sehr schnell entstand zwischen ihnen ein Band, das tiefer war, als alles, was sie zuvor kannte. Niemals hätte sie gedacht, dass sie sich zu einer anderen Person so hingezogen fühlen kann. Nicht auf eine erotische Art und Weise, auch wenn sie die körperliche Nähe zu Jennifer sehr genoss und auch suchte, aber vor allem war es die emotionale Verbundenheit, die Miriam zunächst verwirrte, später jedoch zum glücklichsten Menschen machte. Jedes Treffen mit Jennifer erfüllte sie. Sie fühlte sich verstanden, angekommen, als hätte sie ihre Seelenverwandte getroffen. Doch Leanders irrationale Obsession stieg ins Unermessliche. Sobald der von ihrer neuen Beziehung erfuhr, belästigte er Miriam mit Textnachrichten, die später zu ernsten Drohungen wurden. Jennifer kam nur schwer mit seinen Attacken zurecht. Die Polizei war ihnen keine Hilfe, selbst nicht als der Psychopath ihnen wiederholt vor der Wohnung auflauerte. Miriam litt sehr unter der Situation doch vor allem schmerzte es sie zu sehen, wie Jennifer zunehmend abbaute.

Der erste Schnitt ist schmerzhaft. Als die rotblonden Haare ins Waschbecken fallen, fühlt es sich an, als würde sie sich die Schere direkt ins Herz rammen. Sie kann das Weinen nicht unterdrücken. Der Anblick, der sich ihr jetzt im Spiegel bietet, führt ihr vor Augen, dass ihre Vergangenheit sie immer einholen wird.
Das plötzliche Klopfen an ihrer Tür lässt sie zusammenzucken. Zitternd aber entschlossen greift sie zur Schere und schleicht zur Wohnungstür. Der Flur, den sie durch den Spion einsehen kann, liegt im Dunkeln. Bereit ihre Waffe einzusetzen, öffnet sie die Tür. Das erschrockene Gesicht ihrer Nachbarin von Gegenüber blickt ihr entgegen, schnell lässt sie die Hand mit der Schere sinken. Doch ohne auf eine Erklärung zu warten, drückt die Frau ihr ein Päckchen in die Hand und zieht kopfschüttelnd davon. Miriam pflegte nie ein besonders inniges Verhältnis zu ihren Nachbarn. Seit dem Beziehungsende mit Jennifer hatte sie ihre sozialen Kontakte auf das Nötigste beschränkt und erst mit Mark konnte wieder jemand einen Platz in ihrem Leben finden. Mit der Schere öffnet sie das Päckchen.
Die kleine Schatulle im Inneren der Sendung trifft sie mit voller Wucht. Sie hatte sie Jennifer kurz vor ihrer unfreiwilligen Trennung geschenkt. Langsam öffnet sie das Kästchen. Ein silberner Schlüssel mit grünem Anhänger lässt Hoffnung in ihr aufkeimen. Ist es Jennifer, die sich durch ihre typischen Rätsel, versucht bei ihr zu melden? Miriams Herz schlägt schneller. Die tiefe Verbundenheit zu ihrer Exfreundin flammt in ihr auf. Sollte auch nur die kleinste Chance bestehen ihre Freundin wiederzusehen, muss sie dieser nachgehen und sie weiß, was sie dafür zu tun hat.

Eilig schnappt sie sich ihr Taschenmesser und verlässt ihre Wohnung. Der Abend ist mittlerweile angebrochen und in einer kleinen Stadt wie dieser bedeutet das, dass buchstäblich die Bürgersteige hochgeklappt worden. Kurze Zeit später steht sie vor dem einzigen Hotel, das die Stadt zu bieten hat. Sie betrachtet den grünen Anhänger des Schlüssels. Das ist es. Bevor sie an die Rezeption tritt, schiebt sie das Messer, so tief wie möglich in ihren BH.

Die Blondine am Empfang setzt ihr freundlichstes Lächeln auf. Unerwartete Gäste sind in dem kleinen Hotel eine Seltenheit, doch die Rezeptionistin lässt sich ihre Überraschung nicht anmerken und begrüßt sie etwas zu enthusiastisch. Miriam weiß, wenn sie jetzt nach Leanders Zimmernummer fragt, wird die Frau sich später, wenn die Polizei sie wegen der Leiche befragt, an sie erinnern können. Sie hat keine Wahl, sie muss ihn selbst finden.

Guten Abend, haben Sie noch ein freies Zimmer?“, fragt sie und versucht dabei, so normal wie möglich zu klingen. Die Hotelangestellte reicht ihr mit ihrem Modellächeln einen Schlüssel mit der Zimmernummer 4-57 über die Theke.

Unser Zimmer 57 befindet sich auf der vierten Etage.

Miriam bedankt sich, nimmt den Schlüssel eilig und hofft, während sie zu den Fahrstühlen geht, dass sich die Frau ihr Gesicht nicht zu sehr eingeprägt hat.

Kurz bevor der Fahrstuhl sich schließt, betritt er das Hotel. Von dem gepflegten Leander von vor zwei Jahren ist kaum etwas übrig. Sein Haar steht wild in alle Richtungen ab, der Bart ist ungepflegt und scheint seit Wochen nicht gestutzt. In letzter Sekunde springt Miriam aus dem Fahrstuhl, taucht ab in den Schatten des Flurs und folgt ihm mit Abstand. Leander scheint sein Umfeld nicht zu beachten, fast mechanisch geht er den Gang entlang. Miriam bleibt an einer Tür stehen, den Blick auf ihn gerichtet, das Herz rast. Dann, abrupt, bleibt er stehen. Sie presst sich gegen den Türrahmen, flach an die Wand gedrückt, kaum atmend. Leander sieht sich um. Für einen Moment steht die Zeit still. Dann öffnet er die Tür. Schritte. Die Tür fällt ins Schloss. Stille.

Vorsichtig befühlt sie das Messer und wartet ein paar Minuten. Obwohl sie es nicht erwarten kann, die Waffe in seine Brust zu rammen und damit endlich Freiheit für sich und Jennifer zu erlangen, möchte sie ihn in Sicherheit wiegen. Bevor sie das Messer greift, wandert ihr Blick noch einmal über den Flur. Kein Laut, kein Licht. Niemand. Nur sie und die Dunkelheit. Trotzdem zieht sie ihre Schuhe aus schleicht barfuß über den Teppichboden bis zu Leanders Zimmer. Das „Bitte dich stören“-Schild soll ungebetene Besucher draußen halten.

Tut mir leid, Arschloch“, flüstert sie mehr zu sich selbst und öffnet die Tür mit dem Schlüssel. Sie ist sicher, dass Jennifer ihn ihr zukommen ließ. Leise schiebt sie sich in das dunkle Hotelzimmer, möchte auf das Überraschungsmoment setzen. Doch Leander erwartet sie bereits.

Er hat ihr den Rücken zugewandt, doch im Spiegel vor ihm kann sie seinen hasserfüllten Blick erkennen. Ihre Hand mit dem Messer, das ihr plötzlich sehr klein vorkommt, zittert.

Du denkst, du machst mir Angst?” Seine Stimme ist durchdringend und lässt ihr einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. “Oh, du kannst mich ruhig töten. Du hast mir mein Leben schon vor vielen Jahren genommen.
Abfällig betrachtet er sie von oben bis unten. Sein Blick voller Ekel.
Sieh dich nur an wie erbärmlich du dastehst, man sollte meinen in all den Jahren hättest du etwas an Persönlichkeit gewonnen“, setzt er seinen Monolog fort.
Seine Worte lassen eine längst vergessene Seite in Miriam aufbrodeln. Etwas Dunkles steigt in ihr auf. Sie will aufspringen, ihn anschreien, das Messer in ihn stoßen, doch ihr Körper reagiert nicht. Sieht steht da. Starr. Wie gelähmt.

Ich habe mir geschworen dich zu finden“, beginnt er erneut. „Aber du warst gut. Kein Social Media und auch sonst keine Spur von deinen gefärbten roten Löckchen.“ Wieder dieser abfällige Blick. „Willst du wissen, wie ich dich gefunden habe?“ Sein Mund verzieht sich zu einem fiesen Grinsen. Seine Augen bleiben kalt und hasserfüllt. „Dein lieber Mark hat mich zu dir geführt.“, beantwortet er die Frage, ohne auf ihre Reaktion zu warten.

Es ist der Klang des Namens, der Miriam aus ihrer Starre holt. Ihr Magen verkrampft sich. Ihre Fingerknöchel werden weiß um den Griff des Messers: „Wo ist er?
Leander entfährt ein schnaubendes Lachen. Er schüttelt seinen Kopf und wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht. „Wann hörst du endlich auf, Leute als dein Eigentum anzusehen?“ Wie kann er es wagen? Gerade er, der sie jahrelang als Besitz behandelt hat.

Ohne Vorwarnung beugt er sich nach vorne. Sucht etwas in seiner Reisetasche, die zwischen ihnen auf dem Boden steht. Es ist ihre Chance. Sie könnte ihn mit dem Messer angreifen. Stattdessen weicht sie einen Schritt zurück. Darauf vorbereitet, dass er eine Waffe zieht. Als er gefunden hat, wonach er gesucht hatte, reicht er ihr das zerknickte Foto. Das Motiv ist im Halbdunkel des Raumes nur schwer auszumachen. Doch Miriam kennt das Bild, erkennt die Frau darauf, ohne genau hinschauen zu müssen. Stumme Tränen laufen über ihr Gesicht und ihr Herz zerreißt.

Sieh es dir an“, schreit er sie an. Auch ihm laufen jetzt Tränen über die bärtigen Wangen.

Immer wieder hält er ihr das Bild unter die Nase. Nötigt sie dazu hinzuschauen, doch sie schließt die Augen, kann den Anblick des blutroten Kleides nicht ertragen.

Was willst du von mir?“ Ihre Frage ist ein Flehen und sie hasst sich dafür. Der Anblick hat sie gebrochen. Die Hoffnung, ihre große Liebe schon bald wieder in den Armen halten zu können, zerspringt in tausend kleine Splitter.

Ich will, dass du sie ruhen lässt“, spuckt er ihr entgegen.

Ihre Welt bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Sie fährt an der Wand hinab und setzt sich auf den kalten Boden. Wippend hält sie sich die Ohren zu, summt eine Melodie. Sie muss seine Worte aussperren. Doch die bitteren Erinnerungsfetzen blitzen vor ihr auf. Sie presst die Lider zusammen, kann die Bilder aber nicht auslöschen. Das Lächeln der wunderschönen Frau, mit den rotblonden Haaren und den liebevollen blauen Augen, verzerrt sich zu einer angsterfüllten Grimasse.  

Du hast sie mir genommen!“ Seine Stimme dringt nur gedämpft zu ihr durch, doch jedes Wort ist ein Schlag mit dem Hammer der ihre Welt weiter zum Einsturz bringt.

Ich habe sie geliebt“, schreit sie ihm jetzt entgegen. Sie schlägt verzweifelt auf den Boden.

Du hast ihr Angst gemacht“, schreit nun auch Leander. „Du hast sie in den Tod getrieben, weil sie dein ständiges Auflauern nicht mehr ertragen hat.

Er wirft ihr das Foto vor die Füße. Sie schließt die Augen. Presst die Handballen gegen ihre Lider, doch das Bild von Miriams toten Körper hat sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Die Erinnerungen werden klar und die Schuld stürzt auf sie ein. Die Frau, die sie selbst glaubte zu sein, ist vor zwei Jahren gestorben. Jennifers Herz zerspringt erneut. Der Schmerz ist so tief, wie damals. Miriam konnte ihrem Mann die Liebe zu Jennifer nicht gestehen und entschied sich für den Tod.
Jennifer laufen die Tränen über ihr Gesicht. Sie schreit. Möchte sich vor der Wahrheit verschließen. Die Realität ist unerträglich. Schmerzt. Zerreißt sie.
Die Wut auf Leander lässt das Adrenalin in ihren Adern aufkochen. Er ist der Grund, warum ihre große Liebe nur noch Suizid als Ausweg gesehen hat. Blitzschnell greift sie nach dem Messer und stürzt sich auf ihn. In letzter Sekunde packt er sie am Arm und schmettert sie mit voller Wucht gegen den Spiegel. Das Glas splittert und ihr eigenes erbärmliches Spiegelbild zerspringt. Die Kontaktlinsen, mit denen sie ihre eignen grünen Augen übertönt, blicken ihr wie Miriams Augen entgegen. Doch etwas hat sich verändert.

Ich wusste, dass du verrückt bist. Schon als Miriam dich das erste Mal mit nach Hause gebracht hat, habe ich es dir angesehen.“ Seine Stimme klingt wütend und verletzt zugleich. „Aber Miriam mochte dich. So war sie. Sie war ein guter Mensch. Ich glaube, sie hat in dir eine verlorene Seele gesehen, die sie retten wollte.

Hör auf!“, fleht Jennifer, die weinend in den Scherben des Spiegels kniet.

Immer wieder hat sie dich verteidigt.“, übergeht Leander das Flehen, „Erst als du angefangen hast, sie zu kopieren und uns überall aufzulauern, hat sie erkannt, dass sie Abstand von dir halten muss. Aber du wolltest das nicht akzeptieren.“ Seine Stimme bricht, er hält die Hände vor sein Gesicht und lässt den Tränen freien Lauf.

Sie war schwanger“, bricht es aus ihm heraus. „Du hast mir nicht nur meine Frau genommen, sondern auch mein Kind.“ Sein Gesicht ist von Schmerz und Hass verzerrt. „Ich habe mir geschworen sie zu rächen und das Schicksal wollte, dass ich dich finde.

Wie?“ Ihre Stimme ist nicht mehr als ein Krächzen.

Ich sagte doch bereits, dein Mark hat mich zu dir geführt.“ Die Verbitterung spricht aus ihm. „Ich wusste, dass Stalker wie du, sich neue Opfer suchen werden. Die Chance war gering und trotzdem habe ich mich in Foren angemeldet, um Hinweise auf dich und deine kranken Spielchen zu finden und siehe da ein Beitrag von Mark91 gab mir endlich wonach ich gesucht habe.“, seine Worte treffen sie mit voller Wucht. Mark? Warum? Es ist als wäre Leander eine Abrissbirne, die ihre Welt in Trümmer zerlegt.

Er wollte sich nicht mit dir verabreden“, fährt er unerbittlich fort. „Erst als ich ihm versprochen habe, dass das Treffen nicht wirklich stattfinden wird und er sich erst ins Café begeben muss, wenn du schon gegangen bist, willigte er ein.“, ein schadenfrohes Lachen mischt sich in seine Stimme. Er kniet sich neben sie.

Niemand wird dich vermissen, Jennifer“, er betont ihren echten Namen. „Ich tue der Welt einen Gefallen.“ Mit diesen Worten greift er nach einer Scherbe und schneidet ihr die Kehle auf. Das Letzte, was Jennifer sieht, bevor sie ihre Augen für immer schließt, ist wie ihr Blut das Lieblingskleid ihrer großen Liebe rot färbt.

Vielen Dank fürs Lesen meines ersten kleinen Psychothrillers.

Lisanne

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